Populäre Irrtümer in Zeiten der Krise

Neuerdings hatte ich die Gelegenheit, mich mit einer Bekannten über die europäische Schuldenkrise und deren Überschwappen nach Italien zu unterhalten. Dabei kam die Rede auf Leerverkäufe, die in Italien verboten werden sollten, um Spekulationen gegen italienische Staatsanleihen zu unterbinden. Ob dies wohl ein probates Mittel im Wettlauf gegen die Schuldenuhr sei?

Meiner Ansicht nach nicht, und zwar aus drei Gründen. Doch bevor ich diese darlege, gilt es zu erklären, was ein Leerverkauf überhaupt ist. Im Prinzip nichts anderes als eine Wette gegen einen Wertgegenstand. Grob zusammengefasst funktioniert sie so: Die Aktie X kostet momentan zehn Euro. Ich glaube jedoch, dass sie überbewertet ist und demnächst nur noch fünf Euro wert sein wird. Daher leihe ich mir zehn Stück Aktien aus, verkaufe sie sofort und bekomme dafür 100 Euro. Wenn ich Glück habe, ist der Kurs bis zu dem Zeitpunkt an dem ich die geliehenen Aktien zurückgeben muss, bereits auf fünf Euro gefallen. Dann nämlich kaufe ich an der Börse diese zehn Stück wieder, diesmal allerdings um insgesamt 50 Euro, gebe sie zurück – und habe 50 Euro verdient. Wenn ich aber Pech habe, dann verdiene ich nichts an der ganzen Geschichte. Und wenn ich wirklich großes Pech habe, dann wird die Aktie X nicht nur nicht billiger, sondern sogar teurer – und ich muss bei dem Rückkauf der Aktien draufzahlen.

So dargestellt, wirkt das wie lupenreine Spekulation ohne Nutzen für das wirtschaftliche Gesamtwohl. Ist sie aber nicht, denn Leerverkäufe sind eine Variante des klassischen Termingeschäfts – und das wiederum ist eine Art Versicherung: Landwirte, die ihre Ernte vorab zu einem fixen Preis verkaufen, machen damit einen Leerverkauf – das Ganze dient aber nicht Spekulationszwecken, sondern sichert die Verkäufer vor Preisschwankungen ab. Umgekehrt agieren zum Beispiel Fluggesellschaften, wenn sie sich im Voraus mit Kerosin zu einem fixen Preis eindecken. Da wie dort geht es nicht um Glücksspiel, sondern um Sicherheit.

Und das ist auch der erste Grund, warum Leerverkäufe nicht verboten werden sollten – sie sind nämlich nutzbringend. Das zweite Argument gegen ein Verbot ist prosaischer: Leerverkäufer, die auf fallende Preise setzen, haben im Finanzkreislauf die Funktion eines Frühwarnsystems: Spekulationen gegen die italienischen Anleihen signalisieren, dass es da eventuell Probleme geben könnte. Sie fungieren als Überbringer einer schlechten Nachricht. Doch Vorsicht: Nicht Leerverkäufer sind dafür verantwortlich, dass die italienische Staatsverschuldung rund 120 Prozent des BIP ausmacht – diese Ehre gebührt den spendierfreudigen Politikern des Landes, sowie den italienischen Wählern selbst, die sie in die hohen Ämter gehievt haben.

Zu guter Letzt würde ein Verbot der Leerverkäufe nichts bringen. So genannte Spekulanten bewegen zu kleine Summen, um ein mittelgroßes Land wie Italien gefährden zu können. Richtig bedrohlich wird es erst, wenn die großen Investment- und Pensionsfonds ihr Geld aus Italien abziehen. Und das passiert, wenn deren Manager zur Einsicht gelangen, italienische Anleihen seien zu unsicher für ihre Kunden. Die meisten von ihnen sind schließlich keine amoralischen Zocker, sondern wollen für ihren Lebensabend vorsorgen…

About Michael Laczynski

Michael Laczynski wurde 1973 in Warschau geboren und kam im zarten Alter von elf Jahren nach Österreich. Er war langjähriger Leiter des Auslandsressorts der Tageszeitung "WirtschaftsBlatt", ist Mitbegründer des Kulturmagazins TOURISTEN und schreibt jetzt aus Brüssel für "Die Presse". ml@homo-oeconomicus.com
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1 Kommentar zu: Populäre Irrtümer in Zeiten der Krise

  1. The head of the Bundesbank, Jens Weidmann, is now suggesting the ECB bon-buying plan is “the work of the devil” that will lead to rmpaant inflation. The guy is a complete idiot. Stabilized capitalism is a contradiction in terms. Capitalism is change. Its tense is not the present but the future. Its modes are not cycle and repetition but expansion and transformation. Its money is not accumulated wealth (capital) but created promises (credit).”

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