Warum geht ohne Arbeit gar nichts?

Wenn das Nibelungenlied „von großer Arebeit“ singt, dann ist damit nicht der Industriearbeiter am Fließband gemeint, auch nicht der Programmierer am Computer, ja nicht einmal (und die gab es zur Zeit der Entstehung des Versepos immerhin bereits) die Leistung der Bauern und ihrer Knechte am Feld. „Arbeit“ im Sinne des Nibelungenliedes beschreibt die Tätigkeit der damaligen Adeligen – und die bestand im Wesentlichen darin, einander die Schädel einzuschlagen bzw. diese Tätigkeit im Rahmen der Jagd zu trainieren.

Erwerbsarbeit als sinn- und identifikationsstiftendes Element ist eine relativ junge Erfindung. Sie wird dem Vater der Nationalökonomie, Adam Smith (1723–1790), zugeschrieben, der daraufkam, dass letztlich Arbeit die Grundlage allen Reichtums ist (wenn auch im Feudalismus in der Regel nicht die Arbeit der Besitzenden selbst, sondern jene ihrer Leibeigenen, Pächter und dienstbaren Geister). Erst seit Adam Smith also wird Arbeit, bis dahin die verachtete Tätigkeit niederer Stände, als Wert verstanden, stilisieren sich Staatenlenker als unermüdliche Arbeiter (das reicht von Franz Josephs Selbstbild als oberster Beamter des Staates bis zu den vor sich her getragenen übervollen Terminkalendern aktueller Politiker) und wird bloß vererbtes Vermögen scheel angesehen. Playboys, die das Vermögen ihrer Vorväter verknuspern, werden zwar beneidet, aber geringgeschätzt (Goethe: „Was du ererbt von deinen Vätern, erwirb es, um es zu besitzen“).

Ohne Arbeit geht gar nichts. Mittlerweile hat die Hochschätzung der Arbeit ins andere Extrem ausgeschlagen: Erwerbsarbeit ist nicht nur zum Lebensmittelpunkt für breite Bevölkerungsschichten geworden (erst in allerletzter Zeit auch für die Frauen, die bis vor 50 Jahren durchaus in der – unbezahlten weil angeblich unbezahlbaren – Arbeit für die Familie aufgehen konnten), in den meisten Staaten bildet Erwerbsarbeit auch das entscheidende Rückgrat der Staatsfinanzen. Fast ein Drittel der Steuereinnahmen und praktisch die gesamte Sozialversicherung stammen direkt aus Abgaben auf unselbstständige Erwerbsarbeit.

Arbeitslosigkeit wird damit gleich dreifach zum Problem: Zum einen gefährdet sie (wenn nicht eine einigermaßen grosszügige Arbeitslosenversicherung einspringt) das Auskommen der betroffenen Arbeitslosen. Zum anderen beeinträchtigt sie die Betroffenen auch psychisch: Weil Arbeit zur Frage des Selbstwerts geworden ist, fühlen sich Nicht-Arbeitende nicht mehr als produktiver Teil der Gesellschaft. Und schließlich leidet auch der Staat unter steigender Arbeitslosigkeit, weil sinkenden Lohnsteuereinnahmen steigende Arbeitslosenzahlungen gegenüberstehen – und weil Arbeitslose auch keine guten Konsumenten sind, was ebenfalls zu sinkenden Steuereinnahmen führt: Die Mehrwertsteuer liefert ebenfalls rund ein Drittel der Steuereinnahmen. Tricksen auf Teufel komm raus. Es ist daher alles andere als verwunderlich, dass Arbeitslosigkeit gerade jetzt, wo es darum geht, die in der Krise aufgehäuften Schulden wieder abzubauen, als eine der wichtigsten volkswirtschaftlichen Kenngrößen gilt – und dass daran manipuliert wird, was das Zeug hält.

Das beginnt schon bei der Messung: Während in Österreich traditionell die Daten der Arbeitsämter über die tatsächlich arbeitslos gemeldeten Personen in Relation zu den unselbstständig Erwerbstätigen gesetzt wird, basiert die EU-Erhebung auf Repräsentativumfragen, in denen jeder aus der Wertung fliegt, der in der Befragungswoche auch nur eine Stunde gearbeitet hat. Die so erhobene (niedrigere) Zahl wird zudem in Relation zu den Erwerbspersonen insgesamt (also einer größeren Zahl) gesetzt. Der Effekt: Die EU-Quote ist beinahe halb so groß wie jene nach der österreichischen Methode.

Getrickst wird auch, indem Arbeitslose, die zu Schulungen verpflichtet werden, nicht mehr als arbeitslos gezählt werden (obwohl sie weiter keinen Job haben). Das ist auch eine beliebte Methode, um die besonders unangenehme Langzeitarbeitslosigkeit zu verringern: Jede Schulung unterbricht ja die Arbeitslosen-Karriere. Die hohe Abgabenbelastung der Arbeit – in Österreich sind die Lohnkosten für das Unternehmen annähernd doppelt so hoch wie der damit verbundene Nettolohn des Arbeitnehmers – beeinflusst die Arbeitslosigkeit natürlich auch: Zum einen verführt sie dazu, Arbeit an diesen Abgaben vorbei zu verrichten. In einigen Staaten, in denen die Verwaltungsdichte nicht so hoch ist wie in Österreich, sollen 50 bis 70 Prozent des BIP schwarz erwirtschaftet werden.

Zum anderen verlockt die hohe Abgabenbelastung Unternehmen dazu, Rationalisierungsinvestitionen vor allem dort einzusetzen, wo Arbeitskräfte eingespart werden – weil dadurch automatisch auch ein großer Teil der Steuerbelastung mit eingespart wird. Würden statt der Arbeit Vermögen, Ressourcenverbrauch, Emissionen oder andere Kenngrößen stärker besteuert, so würde das zu ganz anderen Allokationen der Investitionen führen. Die Tatsache, dass dank moderner Technik bereits in ganzen Fabriken vornehmlich von Robotern gearbeitet wird, wäre durchaus ein Anlass, über die Hochschätzung von menschlicher Arbeit als Grundlage der Gesellschaft (und der Staatsfinanzen) nachzudenken.

Der internationale Vergleich von Arbeitslosenquoten ist nicht nur wegen der unterschiedlichen Definitionen und Zählweisen schwierig. Die Bereitschaft, sich als „arbeitslos“ in die Statistik zu melden, hängt nicht nur von der Relation zwischen erzielbarem Netto- Arbeitseinkommen und Arbeitslosenbezug ab, sondern auch von strukturellen und kulturellen Faktoren: In Agrargesellschaften, aber auch im Kleingewerbe werden nachwachsende Jugendliche, die keinen Job außer Haus finden, in der Regel als Mitarbeiter im eigenen Unternehmen geführt, arbeitslose Frauen können als Hausfrauen aus der Statistik verschwinden, ältere Arbeitslose als Pensionisten.

Und bei Erhebungen nach der Umfragemethode kann das Ergebnis durchaus auch dadurch beeinflusst werden, wie sozial akzeptiert der Arbeitslosen Status in der jeweiligen Gesellschaft ist. Wenn die EU-Kommission für Spanien heuer 20,2 Prozent Arbeitslose vorhersagt, für Deutschland aber nur ein Drittel davon, also 6,7 Prozent, muss das nicht zwingend bedeuten, dass die Arbeitslosigkeit in Spanien dreimal so hoch ist wie in Deutschland.

About Herbert Geyer

geboren in Krems, Lehramtsstudium in Wien, seither Journalist. Bis 1996 bei der Wochenpresse (WirtschaftsWoche), seither beim WirtschaftsBlatt. Im Herzen aber immer noch irgendwie Lehrer. hg@homo-oeconomicus.com
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1 Kommentar zu: Warum geht ohne Arbeit gar nichts?

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