Ist Zypern immer noch Mitglied der Eurozone?

Jein. Formal betrachtet ist es natürlich immer noch Clubmitglied, aus der praktischen Perspektive stellt sich der Sachverhalt anders dar. Der Grund dafür sind die Beschränkungen des Kapitalverkehrs, die eingeführt werden müssen, damit nicht alle zyprischen Kontoinhaber ihre Guthaben plündern und das Geld außer Landes schaffen, sobald die Banken der Insel wieder öffnen. Der missglückte Rettungsversuch der internationalen Gemeinschaft hat die Einwohner verstört – der Glaube an die Unversehrtheit ihrer Ersparnisse ist fundamental erschüttert worden. Und seit klar ist, dass die Inhaber von Bankkonten über 100.000 Euro im Zuge der Rettungsaktion „geschoren“ werden, also mit einem Teil ihres Geldes für die Finanzlücken bei den Banken haften müssen, ist klar, dass größere Vermögen die Insel fluchtartig verlassen würden, wenn sie es nur könnten. Daher also die Schranken für den freien Geldverkehr.

Die Beschränkungen, so notwendig sie auch sein mögen, haben aber eine unangenehme Nebenwirkung: Wenn die Zyprioten über ihre Euros nicht frei verfügen können – beispielsweise, indem sie ihr Geld in Italien oder Deutschland ausgeben – dann sind ihre Euros konsequent zu Ende gedacht weniger wert als die Euros in den anderen Ländern der Währungsunion. Verdeutlicht wird das anhand des folgenden Gedankenexperiments: Angenommen, ein Zyprer will 200.000 Euro ins EU-Ausland schaffen. Er findet einen EU-Ausländer, der um die gleiche Quote einen Kauf in Zypern tätigen will (etwa ein Grundstück erwerben). Der Zyprer kauft den Grund mit seinem eigenen Geld, und der EU-Ausländer überweist einen geringeren Betrag – sagen wir 180.000 Euro – auf ein Konto beispielsweise in Deutschland. Und warum nur 180.000 Euro? Die Differenz von 20.000 Euro ist der Preis, den unser zyprischer Freund bezahlen muss, um sein Geld in die vermeintliche Sicherheit zu bringen. Bleibt man bei diesem Beispiel, dann wäre der zyprische Euro in Deutschland nur 90 Euro-Cent wert.

Unter anderen Umständen (also wenn Zypern eine eigene Währung hätte) wäre es dem Markt überlassen, die Höhe dieses Differenzbetrags zu ermitteln – das wäre dann der Wechselkurs zwischen dem Euro und der zyprischen Währung. Zypern ist aber Teil der Eurozone – aber nicht mehr ganz, wie das obige Gedankenexperiment beweist. So lange die Kapitalsperren aufrecht bleiben, so lange ist die Insel kein vollwertiges Mitglied. Und wie das Beispiel Island beweist, wo die 2008 eingeführten „temporären“ Kapitalkontrollen immer noch nicht abgeschafft sind, kann ein derartiges Provisorium ein Eigenleben entwickeln – was wiederum gravierende Folgen für den Rest der Eurozone hätte. Mehr dazu im nächsten Beitrag.

About Michael Laczynski

Michael Laczynski wurde 1973 in Warschau geboren und kam im zarten Alter von elf Jahren nach Österreich. Er war langjähriger Leiter des Auslandsressorts der Tageszeitung "WirtschaftsBlatt", ist Mitbegründer des Kulturmagazins TOURISTEN und schreibt jetzt aus Brüssel für "Die Presse". ml@homo-oeconomicus.com
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