Sind wir arm? Teil 2

Wie so oft in der Ökonomie steckt der Teufel im Detail – und diese Maxime gilt auch für die Studie der Europäischen Zentralbank EZB über die Vermögensverteilung in der Eurozone. Die Argumente, mit denen die auffallend niedrigen Vermögen in Deutschland und Österreich relativiert wurden (siehe letzter Beitrag), sind teilweise berechtigt, zum Teil aber auch irreführend.

Gelten lassen muss man auf jeden Fall den Verweis auf die Größe der Haushalte und die Veränderung der Immobilienpreise. Mit diesen zwei Faktoren lässt sich aber das Gefälle zwischen dem deutschen und dem italienischen oder spanischen Medianvermögen aber nicht zur Gänze wegwischen, denn dafür sind die Unterschiede zu groß. Das Argument, dem zufolge die deutschen (und österreichischen) Pensionsansprüche in die Kalkulationen einfließen sollten, ist hingegen unredlich – zum einen, weil es auch in Italien und Spanien Pensionssysteme gibt (samt teils anständigen Pensionen, sofern man das Glück hatte, im staatsnahen Bereich tätig gewesen zu sein), und zum anderen, weil die Pensionen in Österreich und Deutschland per Umlagesystem finanziert werden. Die Beitragszahler sind also nicht die Besitzer ihre Pensionsbeiträge, sondern sie finanzieren mit ihnen die Pensionen der heutigen Senioren – in der Hoffnung, dass ihre Pensionen eines Tages von der nachkommenden Generation ebenfalls finanziert werden. Das Problem ist nur, dass es darauf (anders als beim Eigentum) keinen Rechtsanspruch gibt: Hebt der Staat das Pensionsantrittsalter an, wird dadurch die Gesamtsumme kleiner, die ein Durchschnittspensionist im Laufe seines restlichen Lebens erhalten wird. Wäre dieses Geld privat bei einer Bank angelegt, würde man in diesem Fall von einem „Bail-in“, also einer Teilenteignung, sprechen.

Ähnlich fragwürdig ist der Versuch, die deutsche Infrastruktur zum Vermögen der Haushalte zu addieren, um auf einen höheren Wert zu kommen. Denn erstens ist die Verkehrsinfrastruktur in Westdeutschland längst nicht mehr so toll wie ihr Ruf (denn das Geld wurde in den Aufbau der ehemaligen DDR gepumpt) und zweitens leben die Südeuropäer auch nicht in der dritten Welt. Spaniens Hochgeschwindigkeitsbahn kann mit dem deutschen ICE-Netz durchaus mithalten, von den Autobahnen (und Flughäfen) ganz zu schweigen.

Abseits dieser Feinheiten gibt es aber ein grundsätzliches Problem: Wer so argumentiert, vergleicht das Privatvermögen des einen Landes mit dem Nationalvermögen des anderen Landes. Und das ist schlicht und ergreifend unredlich. Man kann das natürlich machen, nur müsste man dann fairerweise anders rechnen. Und dann beispielsweise auch die italienischen Kulturschätze miteinbeziehen. Oder den Wert der spanischen Riviera.

Derartige Diskussionen sind nicht nur sinnlos, sie lenken auch ab von einer interessanten und relevanten Erkenntnis der EZB-Studie ab: der auffallend großen Ungleichgewichte bei der Vermögensverteilung INNERHALB Deutschlands und Österreichs. Mehr dazu in der nächsten Folge.

About Michael Laczynski

Michael Laczynski wurde 1973 in Warschau geboren und kam im zarten Alter von elf Jahren nach Österreich. Er war langjähriger Leiter des Auslandsressorts der Tageszeitung "WirtschaftsBlatt", ist Mitbegründer des Kulturmagazins TOURISTEN und schreibt jetzt aus Brüssel für "Die Presse". ml@homo-oeconomicus.com
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