Wer in der vergangenen Woche das Geschehen in der Hauptstadt der Union verfolgte, konnte am Mittwoch ein interessantes Phänomen beobachten: einen Lobbying-Shitstorm. Nur wenige Minuten, nachdem der für die Funktionsweise des europäischen Binnenmarkts zuständige Kommissar Michel Barnier seinen Vorschlag zur Regulierung der Kreditkartengebühren präsentierte, trudelten im Postfach des Autors dieser Zeilen die ersten empörten Mails ein. Die Absender waren allesamt obskure Interessensverbände wie beispielsweise Europaverband der Selbstständigen, (Deutschland), The Fair Banking Association of Lithuania, Federconsumatori Nazionale (Italien) oder LNACP (Lettland), und die Tonlage ihrer Kritik unterschied sich nur marginal: Der Vorstoß der EU-Kommission würde den Verbrauchern schaden.
Worum geht es eigentlich? Um die so genannten Interbank-Entgelte, die bei Transaktionen mit Kreditkarten anfallen und die Brüssel kappen will. Diese Transaktionen verlaufen in allermeisten Fällen nach dem Vier-Parteien-Prinzip – Diners Club und American Express funktionieren anders, aber nachdem diese beiden Kreditkartenfirmen europaweit auf einen Marktanteil von weniger als fünf Prozent kommen, sind sie für uns irrelevant. MasterCard und Visa, die von der Neuregelung betroffen sind, kontrollieren rund 95 Prozent des Markts.
Die bereits erwähnten vier Parteien sind der Kreditkarteninhaber, seine Bank, der Händler sowie dessen Bank. MasterCard und Visa sind nicht Teil dieser Konstellation – die Kreditkarten werden von Banken ausgegeben, und diese Banken zahlen den Kreditkartenfirmen eine Gebühr. Wer trägt nun die Kosten einer Kreditkartentransaktion? Zunächst einmal der Inhaber, der seiner Bank eine Jahresgebühr zahlt. Zahlen tut aber auch der Händler – und zwar einen kleinen Prozentanteil des Verkaufspreises als Entgelt für die Nutzung der Kreditkarten-Infrastruktur. Denn Kreditkartenbesitzer sind normalerweise spendierfreudiger, sie müssen ja auch nicht zur Bank rennen, um Geld abzuheben, sondern können ihrem Kaufimpuls sofort nachgeben. Diese Gebühr, die je nach Land variiert, teilen sich die beteiligten Banken nach einem gewissen Schlüssel.
Die Kommission möchte nun diese Interbanken-Entgelte limitieren – der Händler soll fortan nicht mehr als 0,3 Prozent der Transaktionssumme zahlen. In manchen EU-Ländern ist dieser Prozentsatz ohnehin niedriger, in vielen anderen – etwa in Deutschland oder Polen – liegt er mit bis zu 1,8 Prozent deutlich drüber. Aus der Brüsseler Sicht hat der Eingriff zwei Vorteile: Er macht den bargeldlosen Zahlungsverkehr populärer und Waren billiger. Demnach werden die Händler jenes Geld, das sie sich durch die niedrigeren Gebühren ersparen, in Form von billigeren Preisen an die Endkunden weitergeben. Und nachdem die Gebühren nicht mehr so hoch sein dürfen, werden mehr Geschäfte Kreditkarten akzeptieren – und alle sind glücklich.
MasterCard wiederum argumentiert genau umgekehrt: Das Geld, das den Banken durch die Regulierung der Interbanken-Entgelte entgeht – die Rede ist von EU-weit sechs Milliarden Euro pro Jahr -, werden sich die Instutite in Form von höheren Kreditkartengebühren bei ihren Kunden holen. Die Folge: weniger Kreditkarten im Umlauf. Und weniger Geld für MasterCard.
Beide Streitparteien untermauern ihre Argumente mit entsprechenden Studien, was die Situation noch unübersichtlicher macht. Im Endeffekt dürfte es vom Wettbewerb abhängen, wer Recht behält. Wenn die Banken befürchten müssen, ihre Kunden zu vergrätzen, werden sie sich mit Gebührenerhöhungen zurückhalten. Detto der Einzelhandel: je mehr Wettbewerb, desto größer der Druck, die Preise bis an die Schmerzgrenze zu reduzieren.
Die Wahrheit wird sich also erst im europaweiten Feldversuch weisen – sofern Europaparlament und EU-Mitglieder dem Plan der Kommission zustimmen. Diese Entscheidung sollte noch vor dem Jahresende fallen.