Der ESM – eine eierlegende Wollmilchsau?

Eine Frage, die sich auf zweierlei Arten beantworten lässt. Die pragmatische erste Antwort lautet folgendermaßen: Der ESM – auch als Europäischer Stabilitätsmechanismus bekannt – ist eine von den EU-Mitgliedern gegründete Finanzinstitution, die von Luxemburg aus Hilfskredite an überschuldete Krisenländer der Eurozone vergeben soll. Er ist mit einer halben Billion Euro dotiert – eigentlich sind es 700 Milliarden Euro, um genau zu sein, doch tatsächlich darf der ESM nur 500 Milliarden ausgeben. Das Kapital kommt von den Mitgliedern der Eurozone und die Kreditvergabe ist an strikte Regeln gebunden. Das bedeutet also: Braucht ein Staat einen Hilfskredit, muss er im Gegenzug reformieren und sparen.

Es gibt aber auch eine andere Antwort, der zufolge der ESM so etwas wie die eierlegende Wollmilchsau der Union ist. Warum? Weil es ihn schon gibt und er sehr viel Geld am Konto hat – Geld, das eventuell zweckentfremdet werden könnte. Der Kern dieser Überlegungen ist auch der Kern der Schuldenkrise: Manche europäische Banken waren bzw. sind so überschuldet, dass ihre Heimatländer sie nicht retten können, ohne selbst an den Rand des Staatsbankrotts zu geraten. Das war etwa in Irland der Fall: Nach der Rettung der irischen Banken musste die Regierung in Dublin die EU um Hilfe ersuchen.

Das Problem ist nur, dass diese europäische Hilfe kein Geschenk ist, sondern ein Kredit, der die Staatsverschuldung des betroffenen Landes erhöht – mitunter massiv. Bei Griechenland beispielsweise sind sich alle Beteiligten darüber im Klaren, dass Athen nie im Leben imstande sein wird, alle Kredite zurückzuzahlen, denn der Schuldenstand des Landes ist schlicht und ergreifend zu hoch. Die Folge: Aus der Finanz- wurde eine Staatenkrise, denn warum sollte ein internationaler Investor einem Land wie Italien oder Spanien Geld leihen, wenn er nicht sicher ist, ob er sein Geld am Ende des Tages auch wiedersieht?

Und dieser Zweifel führt uns geradewegs zum ESM, der momentan ausschließlich Regierungen Geld leihen kann. Es gibt aber immer mehr Stimmen, die dafür plädieren, dieses Geld direkt zur Sanierung der maroden europäischen Banken einzusetzen. Und zwar unter Umgehung der Staaten, die dann keinen Kredit aufnehmen müssten – und folglich auch keine Staatsschuldenkrisen zu befürchten hätten.

Eine Lösung von eleganter Simplizität, könnte man meinen – wären da nicht die Geldgeber des ESM, allen voran Deutschland, das von diesem Plan nichts wissen will. Der Grund? Ein Kredit an einen Staat lässt sich leichter eintreiben als ein Kredit an eine Bank. Die kann nämlich im Fall des Falles abgewickelt werden, ein Staat hingegen nicht. Wie so oft läuft es also darauf hinaus, wer die Kosten der Finanzkrise übernehmen soll. Berlin bleibt bei seinem Nein – vorerst jedenfalls, denn im Vergleich zu den vielen anderen Ideen, die in Brüssel herumschwirren, ist der Rückgriff auf die vorhandenen 500 Milliarden vergleichsweise einfach zu bewerkstelligen. Wir werden also in den kommenden Wochen und Monaten vermutlich noch einiges über den ESM hören.

About Michael Laczynski

Michael Laczynski wurde 1973 in Warschau geboren und kam im zarten Alter von elf Jahren nach Österreich. Er war langjähriger Leiter des Auslandsressorts der Tageszeitung "WirtschaftsBlatt", ist Mitbegründer des Kulturmagazins TOURISTEN und schreibt jetzt aus Brüssel für "Die Presse". ml@homo-oeconomicus.com
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